Es gibt ja so ein paar Veranstaltungen und Festivals, die auf meiner “muss man einmal im Leben machen” Liste stehen. Einen großen Punkt davon konnte ich ja schon 2012 während meines USA Roadtrips abhaken: Die South by Southwest in Austin, Texas. Für ein anderes Festival, auf das ich schon seit vielen Jahren ein Auge geworfen habe, muss man glücklicherweise keine so enorme Anreise in Kauf nehmen: Das North Sea Jazz Festival in Rotterdam. Eigentlich ja fast um die Ecke und trotzdem hat es sich bisher nie ergeben. Okay, die Ticketpreise sind nicht so ganz ohne und man muss ja für das Wochenende auch noch irgendwo unterkommen. Aber wenn man einen Blick auf das massive Lineup wirft und dann nur mal zwei oder drei Einzelkonzerte dieses Kalibers zusammenrechnet, relativiert sich das auch wieder ganz schnell. Und wie sagte schon Günter Strack in der Schnapswerbung: Man gönnt sich ja sonst nichts! ;)
Das North Sea Jazz ist ein traditionsreiches Festival. In meinem Geburtsjahr 1976 gegründet, hat es schon von Anfang an die ganz großen Namen des Jazz, Blues und Soul angelockt. Zuerst in Den Haag und seit 2006 dann in Rotterdam gibt es kaum eine Szenengröße, die noch nicht dort zu Gast war… Miles Davis, James Brown, Ella Fitzgerald, Dizzy Gillespie, Ray Charles, Sarah Vaughan, B.B. King… die Legendendichte in der toll dokumentierten Programmhistorie ist beeindruckend.
Aber nicht nur was die Künstler angeht, auch in Besucherzahlen ist das North Sea für ein Jazzfestival rekordverdächtig: Mittlerweile kommen bis zu 70.000 Jazzfans für das Musikwochenende ins Ahoy nach Rotterdam.
So bin ich am ersten Tag auch erstmal etwas erschlagen, aber auch schwer beeindruckt! Einerseits ist alles extrem gut & hoch professionell organisiert, andererseits oder wohl gerade deswegen ist die Atmosphäre im Allgemeinen sehr entspannt und heimelig, was man bei einem Festival von derart riesigen Ausmaßen erst mal hinbekommen muss. Zusätzlich zu den auf das ganze Convention Center verteilten Bühnen gibt es eine Vielzahl an Essens- und Getränkeständen jeglicher couleur, wobei es auch ein erfreulich großes Angebot an Verpflegung abseits der üblichen Pommes-, Wurst- und Pizzabuden gibt. Bezahlt wird mit Plastikcoins, die man sich an jeder Ecke an Automaten eintauschen kann und deren Umrechnungskurs sich mir auch bis zum letzten Festivaltag nicht in Gänze erschlossen hat. Die Preise sind jetzt nicht unbedingt schnäppchenhaft, aber für ein solches Festival durchaus angemessen. Darüber hinaus gibt es noch diverseste Möglichkeiten, sein restliches Geld los zu werden. Von Merchandise & Platten über Musikinstrumente und Kunsthandwerk bis zu Fotos und Gemälden gab es so ziemlich alles zu kaufen, was sich grob mit dem Festivalthema in Verbindung bringen lässt.
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Das größte Problem des geneigten Festivalbesuchers ist es aber wohl sich zu entscheiden, welche Acts auf den bis zu 14(!) parallel laufenden Bühnen man sich anschaut. Die nach Flüssen aller Kontinente benannten Venues reichen von kleinen Räumen für vielleicht 200 Besucher bis zu stadionartigen Hallen in denen Tausende Besucher Platz finden. Da sind dann schon oft harte Entscheidungen zu treffen… Jazz Legenden, Popstars oder doch lieber Neuentdeckungen? Zwar hilft die recht anständig gemachte Smartphone-App sowie die übersichtliche Website schon gut bei der Vorsortierung, in den meisten Fällen hatte ich aber trotzdem mindestens drei parallel laufende Konzerte, die mich interessiert hätten. Für mich persönlich fiel die finale Entscheidung dann entweder komplett aus dem Bauch heraus oder nach der Überlegung, bei welchem Künstler es wohl am unwahrscheinlichsten ist, ihn noch mal unter vertretbarem Aufwand live zu erleben. Ich denke, das hat auch ganz gut geklappt. Teilweise habe ich mir nur halbe Konzerte angeschaut und bin dann zur nächsten Show gewechselt, manchmal war ich so begeistert, dass ich in einem Konzert geblieben bin und dafür ein anderes geplantes geskipped habe und bei einer Handvoll Shows (meist im mittelgroßen Hudson Saal) bin ich wegen Überfüllung nicht mehr rein gekommen. Natürlich kann man nie hundert prozentig genau einschätzen, wie groß das Interesse an einem Künstler ist. Im Großen und Ganzen war die Aufteilung der Acts auf die Säle schon recht gut gelöst. Gefühlt wurde es von Tag zu Tag immer etwas voller und wuseliger, allerdings war ich nur in ganz seltenen Fällen genervt von Gedränge oder Staus an Treppen und Durchgängen. Dabei bin ich schon recht sensibel was Menschenmassen angeht. Die Besucher verteilen sich aber ganz gut auf dem Gelände und die Menschen waren erstaunlich entspannt und freundlich.
So, jetzt aber genug von langweiligem Organisationsgeschwafel. Was gab’s denn nun an Musik zu hören? Ich liste das mal chronologisch mit kurzen Kommentaren auf, sonst wird das hier endlos. ;)
Tag 1:
Jarrod Lawson – ein junger amerikanischer Soul/Pop-Sänger und Pianist samt Band. Vielleicht etwas zu glatt und nett aber durchaus unterhaltsam und ein schöner leichter Einstieg in den Tag.
Sergio Mendes & Brasil 2015 – jahaa, den gibt’s noch! Der Grandseigneur des Latin Jazz hat’s auch im hohen Alter noch drauf, sogar ganz hip mit Rapper und so. Für die Jugend: Ja, diesen “Mas Que Nada” Hit von den Black Eyed Peas hat der gute Onkel schon 40 Jahre vorher geschrieben. ;)
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Marcus Miller Afrodeezia – den einflussreichen Jazzrock-Bassisten mit Hut habe ich vor einigen Jahren schon mal gesehen. Nichts spektakulär Neues, aber durchaus einehmend mit schönem Groove und vielen afrikanischen Einflüssen.
Tony Bennett & Lady Gaga – ich wusste auch nicht, was ich von der Kombination halten sollte: Der 88-jährige Crooner Recke und die postmoderne Pop-Diva… aber das funktioniert tatsächlich, wenn die beiden Jazz- & Swingklassiker zum besten geben. Irgendwas zwischen Niedlichkeit und Ehrfurcht machte sich breit. Ich war zugegebenermaßen beeindruckt. Und jetzt sagt, was ihr wollt, aber für die beiden habe ich das andere Top-Duo Chick Corea & Herbie Hancock sausen lassen.
Mary J. Blige – eine der großen R&B- und Soul-Diven der 90er und immer noch sehr einnehmend. Extrem professionelles Entertainment, tolle Stimme, aber das letzte Stück Emotion fehlte mir dann doch.
Joni’s Jazz – eine Art Jazzrevue mit Songs von Joni Mitchell gesungen von Becca Stevens (eine kleine Entdeckung für mich… muss ich mir noch mal genauer anhören), Lizz Wright, Michael Kiwanuka & Oleta Adams unter der Leitung von meinem Drum-Helden Brian Blade. Chaka Khan war leider nicht wie geplant mit von der Partie, trotzdem eine tolle und abwechslungsreiche Vorstellung!
Danach ging’s noch kurz für ein paar Songs rüber zu D’Angelo – ich muss gestehen, weder das aktuelle Album noch die Performance konnten mich packen. Alle sind sich einig, dass der Typ das absolute musikalische Übergenie ist, aber ich versteh den Typen einfach nicht so ganz. Machste nix.
Tag 2:
Die Brian Blade Festspiele gehen für mich weiter: Er spielt sowohl mit seiner eigenen Band Fellowship als auch im Quartett von Wayne Shorter und auch sonst sind heute eher alte Jazzrecken angesagt…
Reverend Shine Snake Oil Co. – vor Jahren schon mal in ganz kleinem, aber extrem energiegeladenen Rahmen im Subrosa gesehen, spielen die Dänen, die man eigentlich in die Südstaaten der USA verorten möchte, hier auf der Außenbühne an einem der großen Plätze des Geländes. Sie spielen über das Festival verteilt gefühlt zig Sets und ziehen die Leute mit ihrem Southern-Vodoo-Bluesrock-Soul schnell in ihren Bann.
Brian Blade & the Fellowship Band – die eigene Band eines der herausragendsten und vielfältigsten Drummer unserer Zeit. Mitreißender, moderner Jazz von jungen Musikern, die vor sichtbarer Spielfreude und Talent nur so übersprudeln. Ein großer Genuss und eines der besten Konzerte des Festivals.
Jamie Cullum – da Romy ja ein großer Fan ist, habe ich das britische Piano-Wunderkind mit Option auf ewiger Jugend in den letzten Jahren schon öfter gesehen und auch hier lieferte er wieder eine solide mitreißende Pop-Jazz-Show, bei der sich das Publikum zum Leidwesen der Ordner nicht lange auf den Plätzen hielt. ;)
Lee Konitz, Ron Carter, Jack de Johnette – in diese drei Konzerte schaute ich jeweils nur mal kurz rein um zumindest einen kleinen Eindruck zu bekommen. Alle drei fallen für mich in die Kategorie: “Legenden, die man mal gesehen haben sollte”. Lee Konitz, einer der Urväter des Cool-Jazz wirkt sehr gebrechlich, spielt aber mit einer Hingabe, dass man ganz ehrfürchtig wird. Bei einem Song (ich glaube, es was Body & Soul) summt bzw. scattet er das Thema, statt es mit seinem Saxophon zu spielen. Danach entschuldigt er sich, den Song nicht gesungen zu haben, aber der Text würde ihn immer zum Weinen bringen… instant Kloß im Hals.
Ron Carter Foursight spielen eine Hommage an Miles Davis und kommen sehr adrett daher – gediegene ältere Herrschaften mit ‘ner Menge Spaß am Spiel wie es scheint. Über die Qualitäten eines Ron Carter, der neben Miles auch für Monk, Dolphy & Cannonball Adderley gespielt hat und insgesamt an 2500 Alben beteiligt war, muss man wohl nicht mehr viel sagen.
Auf Jack DeJohnette war ich sehr gespannt, ist er mir doch in meiner Drummer-Zeit immer wieder aufgefallen, beispielsweise auf Miles Davis’ Bitches Brew oder 80/81, einem der wenigen Pat-Metheny-Alben, die nicht nerven. ;) Als ich in das Konzert reinschaute, klöppelte er allerdings nur reichlich uninspiriert auf einem elektronischen Percussionpad rum und probierte dabei scheinbar mal alle Presets durch. Da hielt mich nicht wirklich viel im Raum.
Stattdessen zog es mich in den kleinsten Saal in der obersten Etage des Ahoy zu Thomas Enhco – von dem jungen Pariser Pianisten hatte ich zuvor noch nie was gehört und er fiel mir eher zufällig beim Durchhören der Festival-Playlist auf. Für mich sind Enhco und sein Trio DIE Entdeckung des Festivals. Zeitgenössischer Piano-Jazz von unglaublich talentierten jungen Musikern, die mich wirklich schwer beeindruckt haben!
Von Wayne Shorter gab es für mich leider nur ein paar Songs auf Zehenspitzen vom Eingang aus, weil der Saal aus allen Nähten platzte. Auch hier saß erneut Brian Blade hinter den Drums und mit John Patitucci am Bass kann ja auch nicht allzu viel schief gehen.
The Bad Plus Joshua Redman – die Jazz Rabauken von The Bad Plus wollte ich ja schon lange mal live sehen und wenn sich dann noch Ausnahmesaxophonist Joshua Redman dazu gesellt, sagt man nicht nein. Technisch ausgefeilter, groovender Jazz mit einem sympathischen Augenzwinkern und ordentlich Wumms, an dem zu einem guten Teil der völlig irre Drummer seinen Anteil trägt. Großer Spaß.
John Legend – zum Ausklang gab es dann noch ein tolles Konzert vom frisch Oscar-prämierten Soul-Schnucki, der mit Sicherheit das ein oder andere Herz zum Schmelzen brachte. Aber mal im Ernst: ein toller Musiker und großes Kino.
Tag 3:
Am Sonntag wurde es dann noch mal merklich voller und auf einige Konzerte konnte ich erneut nur einen kurzen Blick vom Eingang aus werfen. Aber ein bisschen was gab’s trotzdem zu sehen (und zu hören).
Kurt Elling – ich bin ja kein großer Freund von Jazzsängern, Melodien von Blasinstrumenten und Pianos ziehe ich generell vor, aber Romy meinte, den Typ sollte ich mir schon mal anschauen. Zum einen bin ich ja generell offen für Neues, zum anderen hatte sie natürlich mal wieder Recht. ;) Eine technisch perfekte Stimme und ein mit allen Wassern gewaschener Entertainer. Streckenweise, besonders als der Akkordeonvirtuose Richard Galliano noch mit auf die Bühne kam, wurde es sogar richtig anrührend. Aber so ein bisschen wirkt Herr Elling ja schon wie eine Mischung aus Las Vegas Showman und Leland Palmer aus Twin Peaks. ;)
Ben l’ Oncle Soul, Branford Marsalis – auch hier konnte ich jeweils nur ganz kurz bzw. von der Tür aus reinschauen. Ben l’ Oncle Soul war schon sehr Reggae lastig was ja so gar nicht meins ist und wirkte etwas gelangweilt. Das ärgerte besonders Romy, die ein großer Fan seiner früheren Alben ist, auf denen er dem Soul in seinem Namen noch wesentlich mehr verpflichtet war.
Branford Marsalis habe ich vor einigen Jahren schon mal beim Traumzeit Festival gesehen und so war es nicht so tragisch, daß ich nur einen Song als Zaungast hinter der letzten Reihe sehen konnte.
Hozier – war schon irgendwie beeindruckend. Das sind ja schon deepe bis abgründige Blues-Anleihen, die da unter der Pop-Fassade brodeln. Wie der Bursche sich in die Charts verirren konnte, habe ich mich schon vorher gefragt… es sei ihm natürlich von Herzen vergönnt.
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Melody Gardot – hatte ich, glaube ich, mal bei arte Tracks gesehen, sonst hatte ich keine rechte Vorstellung, was mich erwartet. Ich kann auch nicht genau sagen, woran es lag, aber die fragilen, meist stillen und etwas verschrobenen Songs haben mich wirklich gepackt und ergriffen. Ein echt eindrückliches Konzert.
Lionel Richie – ohne Quatsch, das große Finale bestritt das lebende Meme, Schmonzettenkönig und Überentertainer… Mr. Lionel Richie! Ich schwankte etwas zwischen einer stillen Scham, dass man ja insgeheim jeden einzelnen Song mitsingen konnte und der Begeisterung, was für ein Feuerwerk der mittlerweile ja schon recht betagte Superstar da auf der Bühne abbrannte. Bester Laune, mit ordentlich Selbstironie und einer beeindruckenden Power startete Herr Richie eine amtliche Party. Und wo das ehrwürdige North Sea Jazz ja nun so gut wie zu Ende war, konnte man seine Jazzclub Contenance ja auch mal kurz über Bord werfen. Also: Augen zu und mitgröhlen! Hello-BeerYouBeerMe-AllNightLong! ;)
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Insgesamt ein wirklich tolles Festival und ein wundervoller Wochenendausflug!
Da ich natürlich nicht offiziell als Fotograf akkreditiert war, habe ich nur mit der kleinen Fuji fotografiert. Dafür habe ich ein paar ganz okaye Schnappschüsse hinbekommen. Ein paar mehr gibt’s noch bei Flickr.
Romy hat fleißig mit dem iPhone gefilmt und einige Videos bei Youtube hochgeladen.
Was bleibt noch zu sagen? Höchstens zwei Dinge:
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